Weitere Dinge: Hochzeitsschuhe

Manchmal geben wir Alltagsgegenständen einen besonderen Wert, weil wir sie mit etwas Schönem verbinden. Da wird ein Werbekugelschreiber aus der Apotheke zum bevorzugten Schreibgerät, weil man mit ihm das erste Ich-liebe-dich-Post-it für seinen Partner schrieb. Ein T-Shirt wird zum Glücks-Shirt, weil man in ihm eine Prüfung bestand. Und ein gefundener Kieselstein wird zum Handschmeichler und erinnert an einen schönen Tag am Strand.

Ich liebte einige Jahre lang ein Paar Schuhe. Nicht, weil sie außergewöhnlich teuer waren. Oder aus einem besonderen Material. Es waren knöchelhohe braun-graue Schnürschuhe mit einer sehr flachen, dünnen Sohle. Sie hatten einen Used-Look, sahen also bereits im Schuhgeschäft so aus, als wären sie alt und getragen: Sie hatten Macken, Kratzer und scheinbar offene Nähte.

DSCI0087Es waren gute Schuhe. Sie waren bequem, drückten nicht und ließen mich den Boden unter meinen Füßen spüren. In ihnen wurde jedes Steinchen erfahrbar. Sie waren wie für mich gemacht. Aber deswegen liebte ich sie noch nicht.

Ich liebte sie, weil ich in ihnen an einem Sommertag heiratete. Ich liebte sie, weil ich in ihnen einem neuen Lebensabschnitt entgegenging.

Unsere standesamtliche Hochzeit feierten wir im kleinsten Kreis in einer Strandbar im Dortmunder Hafen. Zwischen leerstehenden Speichergebäuden und Frachtcontainern hatte jemand fünfzig LKW-Ladungen Sand aufgeschüttet und verkaufte nun aus einer Bretterbude heraus Cocktails, Kaffee und kleine Snacks. Frisch vermählt saßen meine Frau und ich am Stadtstrand, aßen Currywurst, blickten auf das trübe Hafenbecken und waren glücklich. Dieses Schöne im Nicht-ganz-so-Schönen passte einfach zu uns.

Noch Wochen später hatte ich Sand in den Schuhen.
Ich trug die Schuhe in den folgenden Monaten und Jahren wann immer ich konnte. Spürte den Boden unter mir, jedes Steinchen auf meinem Weg, und wusste um den neuen Lebensabschnitt.
Die dünnen Sohlen hielten nicht ewig. Irgendwann zog durch ein Loch die erste Feuchtigkeit in den linken Schuh. Kein Problem! Ich machte eine Zeit lang einen großen Bogen um Pfützen oder nasse Wiesen und trug die Schuhe nur noch bei trockenem Wetter. Wegwerfen konnte ich sie nicht, obwohl ich mich längst an den neuen Lebensabschnitt gewöhnt hatte und jetzt gemeinsam mit meiner Frau auf vertrauten Pfaden ging. Ich spürte auch ohne diese Schuhe den Boden unter mir. Meine ehemaligen Begleiter standen löcherig und untragbar im Regal. Einzig mein Kater zog sie hin und wieder hervor und spielte mit den langen Schnürsenkeln.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich mich endgültig von den Schuhen verabschiedete und sie wehmütig in die Mülltonne warf.
In Schuhen muss man laufen, seinen Weg suchen. Ihn finden. Und gehen. Als Erinnerung taugen sie nicht. Dafür ist das Herz da. Oder die Seele.
Die Schnürsenkel hob ich auf und band sie an den Kratzbaum. Dort hängen sie heute noch. Zumindest ein Teil meiner Schuhe blieb also in Gebrauch.
Der Rest ist Herz geworden.
Oder Seele.

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