Countdown zum Jahresende: 20

Zwei Drittel meines Countdowns sind um. Und heute lege ich mal frech einen Cheatday ein und haue hier einfach irgendeinen uralten Text rein, einen alten Klassiker. Viel Spaß damit.

Blumen gießen

Marcus’ Kopf ist heute Morgen ganz voll mit schlechten Gedanken und Gefühlen. Die drücken von innen gegen seine Schädelwand. Stellt er sich vor. Ist ja noch klein sein Kopf, muss noch wachsen so ein Kindskopf, damit Platz ist für all die schlechten Gedanken und Gefühle. Er geht ins Bad und versucht die komischen Gefühle von seinem Kopf zu waschen. Mit Nagelbürste und Kernseife. Hilft ja bei den Händen auch, wenn er aus dem Garten kommt. Hilft nur jetzt nicht. Er sieht sein Gesicht im Spiegel, ganz rot und es brennt und in seinem Kopf drücken noch immer die schlechten Gedanken gegen seine Schädeldecke. Drücken ihn ins Arbeitszimmer seines Vaters und drücken ihn an die Vitrine seines Vaters, drücken ihm nur Augenblicke später seines Vaters Jagdwaffe in die Hände, die viel zu klein sind dafür und er geht in die Küche, sucht nach den großen Blumen auf Mutters Kittelschürze, aber die Küche ist blumenleer und er geht ins Wohnzimmer, vielleicht dort ein paar Blumen, die sich heben und senken durch Mutters Atem auf Mutters Busen, aber auch im Wohnzimmer ist niemand.

Ein vertrockneter Fikus muss alleine blättern.

Er steht vor der Schlafzimmertür, die manchmal nachts ächzt und stöhnt, wenn Mutter und Vater schlafen, aber die ist jetzt still, nur in seinem Kopf dröhnt es immer lauter und immer schlechter. Er öffnet die Tür und sieht ein Bett voll großer Blumen und Mutter in diesem Blumenmeer und Mutter schläft, kann ja schlafen, hat ja einen viel größeren Kopf als er.

Vater ist nicht da, ist arbeiten. Aber Vaters Jagdwaffe ist da. In seinen kleinen Händen. Und er hält Vaters Jagdwaffe an Mutters Schläfe und denkt an seine Playmobilfamilie und bewundert die großen Blumen auf Mutters Kittelschürze, die sich heben und senken und sein Finger krümmt sich und der Knall ist nur halb so laut wie alles andere in seinem Kopf. Die Blumen hören auf sich zu heben und zu senken, leuchten atemlos jetzt noch strahlender auf Mutters nasser Kittelschürze.

Der Fikus braucht Wasser.

Kommt gut durch die Nacht, habt davor einen tollen Abend, trinkt Glühwein oder nicht. Und wenn ihr heute Nacht ganz, ganz leise seid, dann könnt ihr schon den dritten Advent hören.

Countdown zum Jahresende: 34

Genug rumgegrantelt in den vergangenen Tagen//Wochen. Es hilft ja alles nix. Also vielleicht lieber mal wieder mal etwa über mich schreiben? Aber was gibt es da schon zu erzählen? Zwischen jeder Textzeile hier ist so viel Subtext, das reicht für eine ganze Bibliothek. So viel Leid, das ich nie verarbeitet bekommen habe, so viel Angst und Hilflosigkeit, die ich irgendwie versteckt habe, so viel unerträglicher Schmerz, der schon als Kind weggeschoben wurde, in irgendwelche Kisten in irgendwelchen Ecken, weil das sonst zu viel Schmerz für ein Kind gewesen wäre. Weil das Kind daran wirklich zerbrochen wäre. In Millionen kleiner, glitzernder Splitter, die sich wie Schnee in einem frostigen Kinderzimmer verteilt hätten.

Wenn du nicht zersplittern willst, fliehst du ins Innen, ins Dunkel, in eine schwarze Leere. Die ist kalt, aber nicht frostig. Und sie ist sicher. Denn wenn du nur dunkel genug geworden bist, dann sieht dich niemand mehr in der Dunkelheit. Du verschwimmst mit ihr und beizeiten hältst du das alles für so etwas wie Geborgenheit. Du malst dir Bilder in die Leere, mit Motiven, die du dir ausdenkst, weil du ja gar nicht weißt, wie das da draußen aussieht. Das hier ist die Welt, das da drüben die Menschen, da hinten ist das Leben, da vorne hängt dein liebstes Selbstporträt. Nichts davon ist echt oder greifbar oder von Bestand. Alles um dich rum hängt in der Schwebe und du selbst auch. Merkst es nur nicht.

Du glaubst zu sehen, klar und deutlich sogar. Siehst Menschen, hast Meinungen, fällst Urteile. Aber du urteilst letztendlich über deine selbstgemalten Bilder in der Leere, weil du längst vergessen hast, dass es da draußen noch eine andere Welt gibt.

Du glaubst zu fühlen, tausend Gefühle zu fühlen. Aber es ist immer nur die Übersetzung einer Übersetzung einer Variation von Traurigkeit. Deine Wut ist Trauer und dein Hass ist Trauer und in deinem Lächeln wohnt die Trauer und wenn du fickst, sitzt dir die Trauer auf der Schulter. Und auch das fühlt sich an wie Nähe und Geborgenheit.

Gelegentlich stößt du dir den Fuß an irgendwelchen Kisten in irgendwelchen Ecken. Du kannst es in der Dunkelheit nicht sehen, aber du weißt, dass du blutest. Wie ging noch einmal Schmerz? Keine Ahnung. Also versuchst du alles über Schmerz zu lesen, zu sehen, zu hören, zu lernen. Bis du zu wissen glaubst, wie sich das anfühlen sollte, wenn du dir gelegentlich in der Dunkelheit an irgendwelchen Kisten in irgendwelchen Ecken den Fuß stößt. So machst du weiter, jeden Tag.

Du glaubst zu leben, in deiner schwarzen Simulation vom Leben. Wirst älter, machst und tust und. Und. Und. Und. Dann Glück. Vielleicht. Wenn du Glück hast.

In einem Kinderzimmer sitzt ein Junge im Dreck der Jahrzehnte und schreibt Wörter in den Staub.

Es taut.