Countdown zum Jahresende?

In den vergangenen zwei Jahren habe ich ja einen Countdown zum Jahresende veranstaltet und über viele Wochen hinweg täglich ein klein wenig gebloggt. Das war klasse, nicht zuletzt, weil ich das Gefühl hatte, dass überhaupt einmal irgendwer mein Blog liest. Inhaltlich war es ein Sammelsurium aus Alltagsgedanken und – wie sollte es anders sein – meistens waren es nicht unbedingt die positivsten Gedanken. Aber mir hat es Spaß gemacht und vielleicht war zwischen dem vielen Quatsch ja auch der eine oder andere gute Gedanke dabei. Ein Gedanke, der es wert war, geteilt zu werden.

In diesem Jahr bin ich unschlüssig, ob ich wieder einen Countdown starten soll. Immer öfter habe ich eine Abneigung dagegen, jeden Drecksgedanken zu teilen – immer mit der Hoffnung, so etwas wie eine Reaktion zu bekommen. Gesehen zu werden. Bestätigung zu erhalten, dass ich noch lebe. Als würde ich nicht leben, läse mich niemand.

Dann sind mir auch die Themen etwas abhandengekommen. Klar, ich könnte mich täglich über jede Menge Scheiße aufregen: die FDP, Querdenker, Russlandversteher, FIFA-Funktionäre, Klimakleber, Arschlöcher auf Facebook, Arschlöcher auf Twitter, Arschlöcher auf der Straße, Arschlöcher in Ministerien, rechte Arschlöcher und woke Arschlöcher, HAHAHA-Smiley-Arschlöcher, klugscheißende Arschlöcher, atheistische Arschlöcher, Arschlöcher im Osten und im Westen, weitere Arschlöcher von gleicher oder schlechterer Qualität für nur einen einzigen Penny!

Aber was bringt es? Ändern tut sich ja doch nix.

Ich könnte auch weiterhin immer mal wieder über Dysthymie und Depressionen bloggen, aber auch das Thema ist irgendwie zu komplex, als dass ich da kurzfristig etwas zusammenzimmern könnte. Im Kern läuft es aber darauf hinaus, dass ich denke, dass Depressionen vielfach nicht als eigenständige Krankheit, sondern als Symptom oder als Folgeerscheinung betrachtet werden sollten. Das ist zwar enttäuschend für Ärzte, denn das bedeutet auch, dass es nicht reicht, einfach nur eine Packung Serotonin-Wiederaufnahmehemmer zu verschreiben und ein paar Monate später ist wieder alles gut. Aber ich merke jetzt schon, dass ich da eigentlich viel weiter ausholen müsste und da gerade keinen Kopf und auch keine Zeit für habe.

Und es gibt noch einen Grund, der mich gerade etwas von einem neuen Countdown abhält: Ich habe zu viel Arbeit und laufe ehrlicherweise – passend zum Jahreszeit – auf der vorletzten Rille. Vielleicht auch schon auf der letzten. Das wird sich ab Januar alles wieder beruhigen und darauf freue ich mich sehr, aber momentan ist der Blutdruck ziemlich weit oben, die Ohren klingeln lauter als sonst und nachts schrecke ich aus dem Schlaf hoch, weil ich Panik bekomme. Welcome to the jungle, we’ve got fun and games …

Ich werde also mal schauen, was ich hier so zum Jahreswechsel machen werde.

Habt einen schönen Sonntagabend, kommt gut in die neue Woche und passt auf euch auf.

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Mein Grau

Manchmal habe ich einen klaren Gedanken. Selten genug. Und dann wird mir klar, dass meine Gefühle und Gedanken immer anders sein werden als die Gedanken und Gefühle der Anderen. Mein Grau ist mein Grau. Und selbst, wenn ich von meinem Grau erzähle, haben andere Menschen ein anderes Grau im Kopf. Ihr eigenes nämlich. Vielleicht eine Variation ihres Graus. Aber niemals werden sie mein Grau treffen.

i’m not looking for a clearer conscience

Manchmal, wenn ich diesen klare Gedanken habe, wünsche ich mir, dass andere durch meine Augen auf das Grau schauen und den Nieselregen auf ihrer Haut fühlen könnten, der immer aus diesem Grau regnet. Und wenn die Gedanken noch klarer werden, verachte ich mich für diesen Wunsch.

peace of mind after what I’ve been through

Mein Grau ist drückend schwer, festbetoniert in der Kindheit. Breit und laut wie die A40. Eine Autobahn für Ängste und Zweifel. Mit einer Standspur, auf der der Tod mit bunter Straßenkreide Smileys auf den Asphalt malt.

and before we talk of any repentance

Mein Grau ist ein einteiliger Frottee-Schlafanzug, Größe 98, der festgefroren ist auf meiner dünnen Haut. Ohne bunte Smileys. Stinkend nach Angstschweiß, Angstpisse und ein paar Angsttränen. Superhelden schlafen nachts und helfen tagsüber denen, die es verdienen. Sie mögen nicht den Gestank.

try walking in my shoes

Und mein Nieselregen, der aus meinem Grau fällt, trägt nicht die Frische des Sommers mit sich. Er trägt Eiskristalle mit sich, die rasiermesserscharf meine Haut, die dünne, vom Fleisch schneiden. Unter dieser Oberfläche: eiternde Angst, die sich tief in den Körper gefressen hat. Angst und Einsamkeit.

try walking in my shoes

Das ist mein Grau. Und

you’ll stumble in my footsteps