Ein alter Text aus den ZweiSichten: Meine Angst

Vor ein paar Jahren schrieb ich gemeinsam mit einer Ordensschwester der Arenberger Dominikanerinnen ein Buch, in dem wir uns mit Schlagworten wie Sex, Liebe, Gott, Zukunft, Tod usw., auseinandersetzten. Jeder von uns schrieb einen Text zum jeweiligen Thema, ohne den Text des anderen zu kennen. Im Buch stellten wir unsere Gedanken dann gegenüber, und es ist erstaunlich, wie nah wir bei einigen Themen beieinanderlagen.

Die „ZweiSichten“ erschienen 2018 und nach einigen Auflagen werden sie nun nicht erneut gedruckt. Ein paar Exemplare gibt es noch, aber früher oder später endet dieses Kapitel. Ich mag das Buch sehr, weil Ursula und ich es geschafft haben, uns – trotz komplett unterschiedlicher Lebensalltage – genau so sein zu lassen.

Das Buch gibt es immer noch hier: ZweiSichten: Gedanken über Gott und die Welt.
Vielleicht benötigt ja jemand noch ein Weihnachtsgeschenk.

Und falls mir jemand außer der Reihe eine Freude machen möchte, findet ihr hier meine Amazon-Wunschliste: https://www.amazon.de/hz/wishlist/ls/2I6ML5IMM7E57?ref_=wl_share

Aber nun zum Text über die Angst:

Die Angst kommt meistens in der Nacht. Wenn es still ist. Vor dem Einschlafen. Wenn ich im Bett liege mit meinen Gedanken. Dann kriecht sie unter der Matratze hervor. Meine Angst ist ein Schatten. Sie kommt ganz langsam näher, wird der Schatten meiner Selbst. Sie legt sich neben mich.

Sie flüstert mir einen Gedanken ins Ohr, zärtlich fast. Einen Gedanken, der sich in mein Gehirn bohrt. Der sich ganz langsam tiefer und tiefer frisst. Sich festkeilt. In meinem Kopf. Mir die Augen öffnet, damit ich in der Dunkelheit schwarz sehen kann. Damit sie mich schwarz sehenden Auges fortspülen kann. Ich werde grundlos. Das Herz schlägt schneller.

Poch. Poch. Poch. Poch.

Im Magen drücken mich zenterschwere Steine tiefer in die Matratze. Rückenmuskeln spannen sich an, kämpfen gegen das Versinken in der Grundlosigkeit. In der Angst.

Poch, poch, poch, poch, poch, poch.

Gedanken zerschellen an der Schädeldecke, zersplitterten, schneiden sich rasiermesserscharf durch Nervenbahnen. Deren Fetzen ergeben längst keinen Sinn mehr. Grundlos, sinnlos.
Wovor.
Hast.
Du.
Angst?

Aber jeder Fetzen ist Wahrheit.
Davor!
Davor!
Und Davor!, steht auf jedem einzelnen Fetzen. In der Angst.

Pochpochpochpochpochpochpochpoch.

Ich schwitze, ich stinke. Ich kämpfe mit mir, mit meiner Angst. Die ich bin. Mit der Angst, die ich sein werde, mit dem grundlosen Schwarz vor meinen Augen und unter meinen Füßen. Mit der sinnlosen puren Wahrheit im Hier und Jetzt. Mit dem nichts bezeichnenden Davor, Davor und Davor aus der Vergangenheit und dem nichts bezeichnenden Davor, Davor und Davor in der Zukunft. Ich kämpfe mit meinem Schatten. Neben mir und in mir. Ich stinke. Ein, zwei Stunden lang. Schlaflos im grundlosen Nichts. Ich liege neben mir in meinem eigenen Schatten. Und warte.

Poch, poch, poch, poch, poch, poch.

Ich warte. Und warte. Bekomme einen Gedanken zu fassen, einen hellen. Einen, der mich zurück an die Oberfläche bringen wird. Später. Einen, der mich nicht tiefer sinken lässt. Jetzt.
Meine drei Lieblingsbücher für eine einsame Insel.
Die Autoren sind: Houellebecq, Kempowski, Stuckrad Barre.
Die Buchtitel lauten: Elementarteilchen, Echolot, Livealbum.
Ich tauche auf.

Poch. Poch. Poch. Poch.

Mein Schatten neben mir pustet über meine nasse Stirn. Zärtlich fast. Dann kriecht er zurück unter die Matratze. Ins Dunkel.

Ich bleibe zurück.

Das bin ich.
Das ist meine Angst.

Ich lass das mit dem Bloggen

Ich weiß nicht, wie viele Blogbeiträge ich in den vergangenen Monaten angefangen habe. Und letztendlich konnte ich keinen einzigen davon beenden. Mir sind die Worte ausgegangen. Einfach so. Oder der Impuls, sich noch über irgendetwas in dieser Welt aufzuregen. Machen doch schon alle anderen. Und wenn alle anderen schon etwas machen, dann bin ich meist genau derjenige, der dagegen ist.

Etiam si omnes, ego non.

Immer schon. Immer dagegen sein, immer anders denken, immer in Opposition sein.

Themen gäbe es genug, denn mal ehrlich: Du kannst doch nur noch kopfschüttelnd durch die Welt gehen und an all dem, was da gerade passiert verzweifeln. Aber mir fehlt da momentan die Kraft, vielleicht auch die Zeit und: mir fehlt die Hoffnung, dass sich durchs Schreiben auch nur irgendetwas ändern könnte. Ich stecke in einer Gegenwart und Gesellschaft fest, die sich in den vergangenen Jahren wie Beton um mich gelegt haben und Tag für Tag ein wenig mehr aushärteten.

Wasser sprengt sogar Beton // Wenn es friert // Und ihm die Welt zu eng wird // Der Mensch besteht aus Wasser // Und ein paar Gedanken

Das schrieb ich mal vor vielen, vielen Jahren. In einem anderen Leben. Heute würde ich wahrscheinlich andere Worte finden. Dass der Beton überhitzt ist, würde ich schreiben. Und dass jeder Tropfen Wasser sofort zur Bedeutungslosigkeit verdampft. Und dass der Mensch aus Wasser, Angst und ein paar Gedanken besteht.

Aber ich habe keine Lust mehr. Ich habe noch nicht einmal mehr Lust, über tolle Filme und Serien zu schreiben, die ich gesehen habe. Über schöne, schräge Musik, die ich entdeckt habe. Oder darüber, dass Stuckrad-Barre in zwei Wochen einen neuen Roman veröffentlicht. Das sind kleine rosarote Farbtupfer. Auf dem Beton, der Beton bleibt.

Und noch etwas hat sich verändert. Früher© hatten meine Texte auch häufig eine weitere Funktion. Ich schnitt mir mit den Worten den Brustkorb auf, öffnete meine Schädeldecke und legte Herz und Seele zwischen die Zeilen. Ich kroch in jeden Textabsatz, versteckte mich in Leerstellen und Umbrüchen. Nie war ich nackter als auf einer Lesebühne.

Und auch darauf habe ich keine Lust mehr.

Diesen Blog habe ich über viele Jahre – meist stiefväterlich – bespielt. Momentan fühlt es sich so an, als bräuchte ich ihn nicht mehr.

Ich habe nicht aufgehört zu schreiben, aber ich habe erstmals das Gefühl, dass das, was ich schreibe, gar nicht in eine Öffentlichkeit will. Das will bei mir bleiben. In einem Ordner auf meinem Rechner.

Also mache ich hier eine Pause – die erste mit Ankündigung. Vielleicht schreibe ich im nächsten Urlaub wieder wie bekloppt hier rein. Vielleicht auch nicht. Ich weiß es gerade nicht. Aber das ist gut so. Und es geht ja auch Hand in Hand mit meiner Social-Media-Müdigkeit. Das Netz hätte uns alle näher zusammenbringen können. Aber letztendlich hat es das nicht getan.

Wir sehen, hören und lesen uns. Per Whatsapp, Telefon oder so richtig von Angesicht zu Angesicht. Das wäre doch super, oder?

Bleibt gesund und munter.