Was geht eigentlich noch?

Keine Angst, die Headline dieses Beitrags ist ausnahmsweise mal nicht auf mein Befinden gemünzt und es folgt keine lange Aneinanderreihung von Worten und Erklärungen, was bei mir alles noch geht. Spoileralarm: Da geht nicht mehr viel.

Nein, diesmal soll es um das große Ganze gehen. Mir ist da nämlich neulich aufgefallen, wie sehr wie uns inzwischen in einem nicht mehr funktionierenden System eingerichtet haben. Und das irgendwie hinnehmen, als würden wir alle in Berlin wohnen. Da ist das ja normal. Da wird es ja als sexy verkauft. Ich bringe mal ein paar random Beispiele, was ich meine. Völlig subjektiv, ist klar, aber in ihrer Anzahl doch so groß, dass es mir auffiel.

Telefonische Erreichbarkeit
Fangen wir mal klein an: Wie sieht es eigentlich bei euch mit der telefonischen Erreichbarkeit von Ärzten aus? Und da meine ich jetzt nicht den superduperspezialisierten Facharzt. Nehmen wir einfach euren Hausarzt. Bei meinem muss ich inzwischen immer damit rechnen, dass ständig besetzt ist, ich mindestens fünf bis zehn Minuten in der Warteschleife hänge oder sogar nach den fünf bis zehn Minuten Warteschleife einfach aus der Leitung geschmissen werde. Ja, es ist voll geil, dass ich meine Rezepte und Überweisungen inzwischen per E-Mail anfordern kann, aber wenn es dafür nen halben Vormittag braucht, bevor ich mir am Telefon einen Termin geben lassen kann, dann fuckt das ab.

Anträge beim Amt
Nächstes Beispiel: Ich habe einen Antrag bei einem Amt gestellt. Im August. Bearbeitet ist er allerdings noch nicht. Wieso nehmen wir es inzwischen als völlig selbstverständlich hin, dass Behörden-Dinge grundsätzlich drei, sechs, neun Monate dauern. So, als wäre es ganz normal, gottgegeben und nicht anders machbar.

Kommunikation per E-Mail
Weiter: Ich habe neulich eine Versicherung gekündigt. Rief bei der Hotline an, war nur kurz in der Warteschleife, und bekam gesagt, dass ich bitte einen Zweizeiler per E-Mail schicken solle. Hab ich gemacht. Irgendwann zwischen den Jahren. Mit der Bitte um eine kurze Bestätigung per E-Mail. Was habe ich bis heute nicht erhalten? Irgendeine Rückmeldung!

Facharzttermine
Im Spätsommer suchte ich händeringend nach einem Facharzttermin zur Abklärung einer gewissen Verdachtsdiagnose. Ich rief bei drei verschiedenen Kliniken an, nur um zu hören, dass dort noch nicht einmal mehr Wartelisten geführt werden. Ich rief bei der 116117 an, nur um zu hören, dass man mir dort auch nicht helfen könne. Ich könne zwar eine Liste mit entsprechenden Fachärzten einsehen, aber wer von denen diese Diagnostik anböte, wüsste man auch nicht. Müsste ich halt weiter rumtelefonieren. Hab ich gemacht. Und sogar einen Termin bekommen: Im Mai 2023. Zu dem Zeitpunkt also ein dreiviertel Jahr später. Und soll ich euch etwas sagen: Ich habe mich gefreut, überhaupt irgendwo einen Termin bekommen zu haben. Wie kaputt ist eigentlich ein Gesundheitssystem, in dem man sich freut, in neun Monaten einen Termin zu bekommen.

Kita und Co
Eine Sache, die mich eigentlich nicht betrifft und die doch indirekt Auswirkungen hat. Immer häufiger fällt bei Eltern die Kinderbetreuung aus. Aufgrund von Krankheit, chronischer Unterbesetzung und dem immer wieder angeführten Fachkräftemangel. Dann heißt es: Nö, ihr Kind muss heute zu Hause bleiben, wir können es nicht betreuen. Ja, Menschen werden krank. Aber wenn ein System mit so heißer Nadel zusammengewichst ist, dass es nur noch bedingt funktioniert, dann ist eine Grippewelle maximal ein Symptom, aber definitiv nicht die Ursache.

Infrastruktur
Ein paar Kilometer weiter südlich von hier gibt es eine vor sich hingammelnde Autobahnbrücke. Bereits 2011 war klar, dass sie es nicht mehr lange machen würde. Ein Neubauvorhaben wurde ins Leben gerufen. Das wurde drei Jahre später dann auch beschlossen. Also nicht ausgeführt. Nein, es wurde drei Jahre später beschlossen, dass es einen Neubau geben würde. Mit Planungen und Vergabe und allem Pipapo. Der Baubeginn wurde von 2017 auf 2019 und dann auf 2026 gelegt. Bis diese kaputte Brücke dann irgendwann so kaputt war, dass sie Vor gut einem Jahr komplett gesperrt werden musste. Seitdem quält sich der komplette Verkehr über diverse Umleitungsstrecken. Und nun: Seit ein paar Tagen ist eine Brücke auf der Umleitungsstrecke defekt und für LKW mit mehr als 3,5 Tonnen gesperrt. Die kaputte Autobahnbrücke steht noch immer. Und ein Neubau wird geplant.

Warenverfügbarkeit
Wisst ihr, wie es seit Monaten, nein eigentlich seit der ersten Hamsterwelle im März 2020 (remember Klopapier) in meinem Supermarkt in der knapp 100.000-Einwohner-Stadt aussieht? So. Dieses Bild stammt aus dem Dezember, an einem ganz normalen Werktag. Und so ist es immer.

Vielleicht ist der örtliche Einzelhändler kein guter Logistiker, wer weiß. Aber auch an anderen Stellen mangelt es. Die Abgabe der gelben Säcke musste in meiner kleinen Stadt im vergangenen Jahr rationiert werden, weil irgendeine Bestellung ausgefallen war und es wohl anscheinend schwierig ist, auf dem Weltmarkt an hauchzarte, gefühlsechte, gelbe Säcke zu kommen.

Schule und Co.
Seit Jahren hört man Klagelieder, dass das Bildungsniveau der Schüler*innen sinkt. Wie lange ist der PISA-Schock jetzt her? Gleichzeitig bleiben Zehntausende Stellen an den Schulen des Landes unbesetzt. Wieder dieser ominöse Fachkräftemangel. Dann kam Corona, jetzt die Grippewelle und auf einmal muss irgendwie ganz schnell ein Notfallplan her, um das Bildungssystem irgendwie am Laufen zu halten. Die „Ideen“ der Expertenkommission, die die Kultusministerkonferenz braten hat, sind ein hilf- und mutloses Armutszeugnis der Mangelverwaltung: Klassen sollen größer werden, Lehrer*innen sollen länger arbeiten, später in Rente und nicht mehr in Teilzeit arbeiten. So schafft man es bestimmt, den Beruf attraktiver zu machen und gleichzeitig das Bildungsniveau zu heben. Nicht.

Und dann natürlich noch die Klassiker
Ohne weitere Worte, weil jeder wahrscheinlich genug Geschichten zu erzählen hat:
Paketdienste
Die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn
Das Angebot des ÖPNV
Der Wohnungsmangel
und
und
und.

So, jetzt habe ich mal wieder so richtig abgekotzt. Und ich weiß: Wir hatten eine weltweite Pandemie, wir hatten Lieferausfälle und steigende Preise. Alles richtig. Aber diese schulterzuckende Akzeptanz von all der Scheiße – das kann es doch nicht sein. Das muss doch anders gehen. Da muss doch mal ein Ruck, ein richtiger, ein doppelwummsiger Vierfachwumms gemacht werden. Das geht doch so nicht weiter.

In diesem Sinne. Startet schön in die kommende Woche, bleibt gesund, bleibt tapfer und bleibt. Irgendwie.

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Jahresrückblog 2022

Ich denke wir sind uns alle einig: Das nächste Jahr kann nur besser werden. Aber waren wir uns Ende 2020 und Ende 2021 diesbezüglich nicht auch schon einig? Irgendwie habe ich das Gefühl seit jetzt fast drei Jahren in einer globalen Dauerkrise zu leben. Corona, Klima, Ukraine, Energie, Inflation, Nazis, die Schlagwortliste ist lang und schäbbig.

Wie wir diese Herausforderungen in den kommenden Jahren wuppen wollen, ist mir schleierhaft. Das sind dicke Bretter, die gebohrt werden müssen. Aber bei keinem einzigen Brett ziehen wir gesellschaftlich an einem Strang. Im Gegenteil. Wir dreschen aufeinander ein. Und schaut man sich die Kommentarspalten in den Sozialen Medien an: sieht man, wie erbarmungslos und durchgeknallt das inzwischen geschieht. Darüber schrieb ich schon mehrfach und es ist müßig, dies weiter zu tun. Es macht mich inzwischen fassungslos, wie viel Dummheit, Radikalität, Empörung und Dagegen-Haltung im Netz (und in der echten Welt) munter rausgerotzt werden. Kommentare, bei denen du merkst, dass der Verfasser keine zwei Sekunden weitergedacht hat. Nicht einmal seinen Standpunkt überprüft hat, nicht für fünf Pfennig überlegt hat, was seine Aussage oder Forderung bedeutet, ob sie umsetzbar ist und was dafür oder dagegen spricht. Alles egal, erstmal den unverdaulichen Müll rauskotzen. Sollen die Linksgrünversifften sich doch damit beschäftigen.

Es ist ja auch witzig, dass ich – je nachdem, was ich so in den Sozialen Medien poste – mal ebenfalls als linksgrünversifft bezeichnet werde und dann wieder mal in die Nähe von der neuen Rechten gerückt werde. Aber nun gut, ich hocke schon mein halbes Leben zwischen den Stühlen. Und inzwischen gilt auf Twitter ja nahezu uneingeschränkt das Sprichwort: „Bist du nicht für mich, dann bist du gegen mich.“ Insofern ist es vielleicht eher ein Zeichen von differenzierter Betrachtung.

Aber zurück zum endenden Jahr. Über mein Glück mit dem neuen (Teilzeit-)Arbeitgeber habe ich ja bereits in meinem letzten Beitrag geschrieben. Insofern kann ich dieses Jahr auch nicht als komplett kacke bezeichnen. Im Gegenteil: Beruflich war es super! Und wie so oft in meinem Leben kam wieder alles zu mir, ohne dass ich mich bemüht habe. Irgendwann hatte ich halt eine Mail im Postfach, in der ich gefragt wurde, ob ich mir nicht vorstellen könnte, in dieser Agentur zu arbeiten. Konnte ich. Und alles ward schön.

Ansonsten war es ein anstrengendes Jahr. Dadurch dass dieser Job aus heiterem Himmel zu mir kam – und ich ihn auch echt nicht ablehnen konnte – staute sich hinten raus ein wenig die Arbeit. Denn ich habe ja halt auch noch meine freiberuflichen Aufträge. Und das muss im kommenden Jahr besser laufen. Nochmal möchte ich nämlich nicht am Heiligabend um 20.00 Uhr am Rechner sitzen und schreiben.

2022 war das erste Jahr seit 2010, in dem ich nicht im Kloster Arenberg war. Über Ostern wollten die beste Frau und ich eigentlich diverse Sachen im Haus erledigen und fuhren deshalb nicht. Im Herbst dann war es die Arbeit, die es unmöglich machte, einfach mal so fünf, sechs, sieben Tage auszuspannen. Immerhin: Fürs kommende Jahr ist die erste Buchung schon gemacht.

Gesellschaftspolitisch war das vergangene Jahr in vielen Bereichen enttäuschend. Eine freidrehende, im braunen Supf nach Wählerstimmen fischende FDP blockiert ungefähr jeden vernünftigen Vorschlag und hält sich für die letzte aufrecht kämpfende Verteidigungslinie der Freiheit: freie Fahrt für freie Bürger! Masken in der Bundesbahn sind Sklaverei! Vermögenssteuer ist ungerecht. Aber die Leute, die sich auf die Straße kleben gehören, die sollten am besten lebenslänglich hinter Gitter.

Es kotzt mich so an. So, so, so sehr.

Über den Krieg muss man wahrscheinlich nicht viel schreiben. Es ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Putin ist der Aggressor, der Kriegsverbrecher und man sollte ihn ächten, isolieren und schnellstmöglich handlungsunfähig machen. Egal wie. Und jeder, der jetzt etwas von „Diplomatie“ und „Verhandlungen“ denkt, soll mir bitteschön mal sagen, auf welcher Grundlage denn diese Verhandlungen stattfinden sollen? Wenn Putin seine Truppen auf sein international anerkanntes Staatsgebiet zurückzieht, die völkerrechtswidrig annektierte Krim räumt und mal 50 oder 100 Milliarden zum Wiederaufbau der Ukraine auf den Tisch legt, dann könnte man verhandeln. Alles andere wäre fatal.

Zurück ins Private: Hat mich musikalisch irgendetwas in den vergangenen 12 Monaten bewegt? Kaum. Zumindest war nix Neues dabei, was mich komplett umgehauen hätte. Eminem und Dr. Dre in der Superbowl-Halbzeitshow, das war schon klasse. Dann war da der Rapper Dax, der mir aufgrund seiner vielen Texte zu Depressionen, Suizid, mentale Krisen und Sucht ans Herz gewachsen ist

Ansonsten habe ich viel älteres Zeugs gehört: King Diamond, Heaven shall burn, Gothic-Kram aus den 1990ern und immer wieder auch dieser Song *räusper*

Was habe ich 2022 vermisst? Flohmärkte, gute Serien auf Netflix und Co, Konzerte, das Kloster und die Menschen im Kloster, manchmal Hoffnung, bezahlbare Kaminholzpreise, ein normales Dschungelcamp in Australien, tiefe Freundschaft, zuverlässige Handwerker, beizeiten meinen Antrieb und meinen Selbstwert.

Was nehme ich mir fürs kommende Jahr vor? Ach, das Übliche: Endlich vielleicht doch mal Sport machen, abnehmen, weniger Kippen, weniger Angst, mehr Selbstwert, gute Handwerker finden, das Haus auf Vordermann bringen, im Lotto gewinnen, gute Arbeit hinlegen und Frieden finden in mir.

Aber wenn ich ehrlich bin: Dies wird mir wahrscheinlich nicht gelingen. Speziell die Sache mit den guten Handwerkern ist schon verdammt optimistisch, nahezu euphorisch.

Genug geschrieben. Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch. Kommt gesund und achtsam ins neue Jahr, macht besser, was ihr besser machen wollt und seid nett zu anderen und euch selbst. Wir lesen uns in 2023!